Der innere Autor

Du leistest nicht genug!
Du musst mehr an dir arbeiten!
Du gibst nicht alles!
Deine Arbeit ist nichts wert!
Du hast zu wenig Zeit!
Du bist nichts wert!

Eine leise Stimme in meinem Inneren gibt diese fiesen Wortsalven von sich. Nicht permanent, aber kontinuierlich und sie taucht in den verschiedensten Situationen auf, wenn ich sie am wenigsten erwarte. BÄHM – schlägt sie zu und haut mir einen dieser Sätze um die Ohren. Beispiele gefällig?

Ich sitze seit Tagen an der Überarbeitung meines Romans. Mein neues Projekt bleibt dabei auf der Strecke.
Du leistest nicht genug! 

Jedes Beisammensein mit Familie oder Freunden, rechne ich in Zeit um, die ich nicht korrigiert oder geschrieben habe. Ich bin in Gedanken bei meinen Geschichten, beobachte die Menschen um mich und sauge ihre Verhaltungsweise für neue Charaktere auf, vernachlässige die Bedürfnisse der anderen, weil ich mich schlecht auf ihre Gespräche konzentrieren kann.
Du musst mehr an dir arbeiten!

Seit Tagen will ich einen neuen Blogbeitrag verfassen, doch die Ideen bleiben aus. Dafür komme ich mit meiner Überarbeitung voran. Ich könnte stolz auf mich sein, dennoch ….
Du gibst nicht alles! 

Bei der Blutabnahme erkundigt sich die Arzthelferin nach meiner Tätigkeit, um mich von der Nadel abzulenken. Die Frage weckt gemischte Gefühle in mir. Soll ich die Wahrheit sagen oder meinen alten Beruf nennen?
Ich spreche es laut aus: »Ich schreibe.«
Typische Reaktion: »Davon kann man leben?«
»Noch nicht, doch ich arbeite daran.«
Antwort: »Schön, wenn man seinen Hobbys widmen kann, ohne dabei aufs Geld achten zu müssen.«
Deine Arbeit ist nichts wert!

Eine Freundin, die ich lange nicht getroffen habe, ruft an und lädt mich für ein Wochenende zu sich ein. Lust hätte ich, aber die Überarbeitung steckt in einer heißen Phase. Ich will endlich fertig werden und entscheide mich gegen die Einladung meiner Freundin.
Du hast zu wenig Zeit! 

Ich sitze im Sessel und schreibe an diesem Artikel. Meine Augen fallen vor Müdigkeit zu. Mein Mann liegt seit Stunden im Bett. Wofür das alles? Wie machen das die anderen Autoren? Bisher kann ich wenig vorweisen. Meine Arbeit wirft kaum Geld ab. Erfolge? Keine Öffentlichen. Ich lebe vom Ersparten.
Du bist nichts wert!

Ich lasse Papier und Stift augenblicklich fallen und lege mich schlafen. Am nächsten Morgen stehe ich mit guter Laune und der Gewissheit auf, dass ich heute erneut meiner Leidenschaft frönen darf. Ich hebe Bleistift und Block vom Wohnzimmerboden und beende diesen Text. Ein zartes Stimmchen flüstert:
Du handelst richtig, auch wenn es bedeutet Opfer zu bringen!