Wegweiser

Ich sitze im Auto und warte. Bis zu meinem Termin bleibt mir noch eine halbe Stunde. Draußen herrschen angenehme dreiundzwanzig Grad. Von meinem Platz aus, beobachte ich fünf ältere Menschen. Sie sitzen sonnengeschützt vor ihrem Altenheim unter einem verwitterten Vordach. Keiner von ihnen spricht – Sie vegetieren einfach vor sich hin.

Zwei Seniorinnen teilen sich eine unbequem aussehende Plastikbank. Die größere Dame von beiden schaut sich in regelmäßigen Abständen um. Ihr Blick wandert von rechts nach links und wieder zurück. Die Kleinere starrt durchgehend auf ihre Füße.

Die ihnen gegenüberstehenden Stühle besetzen ebenfalls zwei Rentnerinnen. Die Frau im geblümten Rock guckt in die Ferne. Geistesabwesend beschäftigt sie ihre Finger mit dem Kneten eines Taschentuchs. Die Dame neben ihr trägt einen grauen Walkrock, der ihr sichtlich Unbehagen bereitet. Im Abstand von Sekunden zupft und zieht sie an seinem Saum.

Die Riege vervollständig ein alter Mann, der mit dem Rücken zu mir sitzt. Er trägt einen schwarzen Pullunder über einem blauen Hemd. Allein der Gedanke, bei den Temperaturen diese Kleidung tragen zu müssen, treibt mir Schweiß auf die Stirn.

Ich beobachte die Fünf seit zehn Minuten. Es finden keine nennenswerten Positionswechsel statt. Die Gruppe verweilt dort, wie Reisende an einer Bushaltestelle. Sie würdigen sich keines Blickes. Jeder vertieft in seine Gedankenwelt. Ich frage mich, ob sich diese Menschen fremd sind oder sie sich jeden Tag unter dem Vordach versammeln, um gemeinsam zu warten. Aber worauf?

Was der Tag noch bringt?

Was ihr rechtliches Leben für sie bereithält?

Auf das Ende?

Sieht so der Herbst unseres Daseins aus?

Die Alten erwecken nicht den Eindruck von Zufriedenheit.
Fragen sie sich, ob ihre Existenz einen bestimmten Zweck erfüllt?
Bereuen sie Entscheidungen, die sie vor Jahren trafen? Können sie sich an jeden ihrer eingeschlagenen Wege erinnern?
Wollen sie das überhaupt?

Mein Blick fällt beiläufig auf die Uhr. Noch fünf Minuten bis zu meinem Termin. Wird er mich vorantreiben? Treffe ich die richtige Person? Fälle ich eine Entscheidung, die mein Leben verändert oder nehme ich in fünfzig Jahren den Platz einer meiner Beobachtungsobjekte ein?